Rechtsanwältin Mag. Katharina Braun
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4.1.2016 Salzburger Nachrichten " Doppelresidenz"

Wenig Klarheit im Streit um die Kinder.

Können Paare, die sich trennen, die Betreuung ihrer Kinder je zur Hälfte übernehmen?

Grundsätzlich gilt: Trennen sich Eltern, müssen sie vereinbaren, in welchem Haushalt das Kind hauptsächlich betreut wird. Im Zuge der letzten großen Familienrechtsnovelle wurde heftig darum gerungen, dass es eine „hauptsächliche Betreuung“ geben muss. (Kindschafts- und Namensrechts-Änderungsgesetz 2013). Ein „Heim erster Ordnung“ sei erforderlich, um dem Kind Klarheit und Sicherheit zu bieten, wurde betont. Vom strengen Grundverständnis her heißt das: Zwei Drittel der Zeit sind bei einem Elternteil zu verbringen, ein Drittel beim anderen.
Nun hat aber jüngst der Verfassungsgerichtshof mit einem Erkenntnis überrascht (G 152/2015 vom 9.10.2015): Die Verfassungsrichter sagten, die Vereinbarung einer so genannten Doppelresidenz (gleichteilige Betreuung des Kindes durch seine Eltern) sei dann möglich, wenn dies den bisherigen Gepflogenheiten und dem Kindeswohl entspricht. Die gesetzliche Bestimmung, dass im Falle einer Trennung die hauptsächliche Betreuung festgelegt werden muss, wurde damit allerdings nicht aufgehoben.
Nun sind viele – und dies zu Recht – verunsichert: Gibt es nun im Gesetz die Möglichkeit, sich auf eine Doppelresidenz zu einigen oder nicht?
Zum Hintergrund der Entscheidung: Das Landesgericht für Zivilrechtsachen Wien hatte die Verfassungsrichter aufgefordert, die Gesetzesbestimmungen, welche die zwingende Festlegung einer „hauptsächlicher Betreuung“ des Kindes beinhalten, auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu überprüfen. Ein Gericht kann ein derartiges Prüfungsverfahren initiieren, wenn es Bestimmungen in einem konkreten Fall anwenden muss, die ihm als bedenkenswert erscheinen.
Dies war hier der Fall. Eltern hatten jahrelang das Doppelresidenzmodell gelebt. Nun konnten sie sich nicht darauf einigen, von welchem Elternteil das Kind hauptsächlich betreut werden wollte. Ein psychologisches Gutachten hatte bestätigt, dass die „Doppelresidenz“ im Kindeswohl gewesen sei. Der Vater beantragte, dass das Kind abwechselnd ein Jahr von der Kindesmutter und das andere Jahr hauptsächlich von ihm betreut wird.
Die Wiener Richter am Landesgericht meinten nun in ihrem Antrag an den Verfassungsgerichtshof: In nicht alltäglichen, aber auch nicht ganz außergewöhnlichen Fällen könne das strikte Festhalten am „Heim erster Ordnung“ genau das Gegenteil von dem bewirken, was der Gesetzgeber vermeiden will: nämlich eine Gefährdung des Kindeswohls.
Die vom Kindesvater im gegenständlichen Fall vorgeschlagene „Jahres/Jahres Regelung“ sei, so das Landesgericht, keine wirklich gangbare Lösung. Obsorgerechtliche Änderungen könnten grundsätzlich nicht für einen weit in der Zukunft liegenden Zeitraum angeordnet werden. Das Gericht sah sich nun in der misslichen Lage, dass die sogar vom Psychologen für gut befundene Lösung, nämlich die einer Doppelresidenz, nicht mit der Gesetzeslage vereinbar war.
Nun scheut aber auch der Verfassungsgerichtshof eine klare Linie. Er entscheidet zwar, dass die gesetzlichen Bestimmungen des „hauptsächlichen Aufenthalts“ nicht aufzuheben sind. Die Doppelresidenz soll jedoch – wenn sie im Kindeswohl gelegen ist – trotzdem vereinbart werden können.
Faktum ist: Mit der Aufhebung der „hauptsächlichen Betreuung“ müssten auch andere Gesetze adaptiert werden. So ist auch der Bezug der Familienbeihilfe oder die Hauptwohnsitzmeldung an die hauptsächliche Betreuung geknüpft. Eine Gesetzesänderung würde jedenfalls die Gestaltungsmöglichkeiten der Eltern stärken.
Grundsätzlich gilt: Eltern, die an einer Befriedigung nicht zuletzt zu Gunsten ihrer Kinder interessiert sind, werden eine Einigung finden. Und die anderen Eltern, so gut kann kein Gesetz sein, werden weiterhin Grund finden, sich zu streiten.

Zusatzinfo:

Gut zu wissen rund um die Doppelresidenz

Bei Gewalt und fehlender Kommunikation ist die „Doppelresidenz“ keine Lösung. Eine Kostenersparnis sollte sicher nicht das Argument sein, sich für dieses Modell zu erscheinen. Denn abgesehen davon, dass es bei pflegschaftsbehördlichen Verfahren natürlich primär um das Kindeswohl geht, sollte sich jeder Elternteil bewusst sein: Wenn er das Kind die Hälfte der Zeit betreut, muss er dem anderen Elternteil wenig bis keinen Kindesunterhalt bezahlen. Im Gegenzug entstehen natürlich Kosten für Essen, Kleidung, Ausflüge, die sehr schnell in die Höhe gehen können.

Spezialfall Nestmodell

Eine in der Praxis nur sehr selten anzufindende Abwandlung der Doppelresidenz ist das sogenannte „Nestmodell“. Dabei bleiben die Kinder in der ehemals ehelichen Wohnung und jener Elternteil, der gerade nicht das Kontaktrecht ausübt, zieht für diese Zeit in eine andere Wohnung.

Dieser Artikel von Rechtsanwältin Katharina Braun erschien am 4.1.2016 in den "Salzburger Nachrichten"

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4.1.2016 Salzburger Nachrichten Doppelresidenz