Das Gewaltschutzpaket ist beschlossen.
Situation allgemein
Mehr als die Hälfte der Gewalttatfälle weist eine Nahebeziehung zwischen Opfer und Täter auf. Laut der Kriminalstatistik 2017 wurden 62,8 Prozent der Gewalttaten in Beziehungen begangen. Gewalt kommt in jeder Gesellschaftsschicht vor.
Im Jahr 2017 wurden österreichweit 9000 Betretungsverbote ausgesprochen.
In Trennungs- Scheidungssituationen kommt es oft zu Gewalttaten.
Bei Bedrohung mit Gewalt ist sofort die Polizei zu verständigen, welche ein Betretungsverbot verhängen kann. Mit diesem Verbot wird der sogenannte Gefährder unter Begleitung der Polizei, nach Abnahme der Wohnungsschlüssel aufgefordert, die Wohnung zu verlassen. Mitnehmen kann man dringend benötigte Gegenstände des persönlichen Bedarfs.
Das polizeiliche Betretungsverbot läuft nach zwei Wochen ab. Es kann aber bei Gericht mittels einer einstweiligen Verfügung verlängert werden. Wird bei Gericht ein Antrag auf Verlängerung des Betretungsverbots gestellt, so verlängert sich das polizeiliche Betretungsverbot um weitere zwei Wochen.
Die Einhaltung eines Betretungsverbotes ist von der Polizei zu überprüfen. Dies zumindest einmal während der ersten drei Tage seiner Geltung.
Ohne eine Scheidung kann eine Einstweilige Verfügung auf maximal 6 Monate verhängt werden. Im Zusammenhang mit einer Scheidung kann dieses bis zur Beendigung des Scheidungsverfahrens gelten.
Es besteht für die Polizei die Möglichkeit, den Gefährder zu einem sogenannten Normverdeutlichungsgespräch ( § 38 b SPG) vorzuladen, um diesem nach einer gewissen Abkühlphase das Unrecht der Tat nochmalig und eindringlich zu verdeutlichen.
Bei einem Gerichtsverfahren kann beantragt werden, dass sowohl der Täter als auch sein Vertreter bei der Einvernahme der Ehefrau nicht persönlich anwesend sind.
Kurz vor der Nationalratswahl wurde das kontrovers diskutierte Gewaltschutzpaket beschlossen.
Nachfolgend ein paar der neuen Bestimmungen:
Anzeigeverpflichtung
Bis dato war die „Verschwiegenheits- , Anzeige- und Meldepflicht bei Verdachtsmomenten auf schwere Delikte ausschließlich im Ärztegesetz ( § 54 Ärztegesetz) geregelt. Nun wird die Anzeigeverpflichtung für alle Gesundheitsberufe geregelt. Angehörige der Gesundheitsberufe sollen auch in Zukunft ihnen in der Berufsausübung und unter Verschwiegenheit bekannt gewordene begründete Verdachtsfälle auf gerichtlich strafbare Handlungen mit Todesfolge, schwere Körperverletzung oder eine Vergewaltigung anzeigen. Das gilt auch für Verdachtsmomente auf das Quälen oder Misshandeln von Kindern oder Jugendlichen sowie für sexuellen Missbrauch. Eine Anzeigepflicht gibt es jedoch dann nicht, wenn eine Anzeige ein besonderes Vertrauensverhältnis ( zwischen potenziell Angezeigtem und Behandler) betrifft, von dem die Wirksamkeit der Therapie abhängt. Wenn nahe Angehörige von Kindern oder Jugendlichen angezeigt werden müssten und dies das Wohl der Opfer gefährden würde, kann eine Anzeige weiterhin unterbleiben, wenn Kinder- oder Jugendschutzstellen informiert werden und das für das Management besser geeignet ist. Volljährige Opfer können der Anzeige widersprechen. Doch bleiben auch hier Fragen offen. Denn der Widerspruch soll dann nicht gelten, wenn unmittelbare Gefahr drohe, und ist nicht bekannt, nach welchen Parametern eine solche dann nicht vorliegen solle. Erleichtert wurde der Informationsaustausch zwischen Ärzten und / oder Krankenanstalten bei Verdacht auf eine gerichtlich strafbare Handlung ( Tötungsdelikt, schwere Körperverletzung, Vergewaltigung, Misshandlung oder sexueller Missbrauch bei Kindern, Jugendlichen, Behinderten, Wehrlosen).
Denn in der Vergangenheit wurden Kinder oft von ihren Misshandlern in verschiedene Spitäler gebracht, und blieben so Straftaten längere Zeit unentdeckt.
Wiederaufleben der Fallkonferenzen
Beim Betretungsverbot obliegt die Gefährlichkeitsprognose der Polizei. Diese ist mitunter sehr komplex, und bedarf viel Erfahrung der Beamten.
Seit 2011 tauschten in Wien das Jugendamt, Vertreter der Justiz, und fallbezogen Vertreter aus psychosozialen Einrichtungen sowie die Polizei in Fallkonferenzen ( basierend auf dem in Großbritannien entwickelten Marac – Abkürzung für multi agency risk assessment conference) Informationen aus; stimmten ihre Vorgangsweise ab. Diese Konferenzen wurden eingestellt. Das Gewaltschutzpaket sieht zwar grundsätzlich wieder solche Fallkonferenzen vor, jedoch obliegt deren Einberufung alleine der Exekutive. Dies wird von Einrichtungen wie den Frauenhäusern kritisiert, da man hierdurch auf ihre wichtige Ersteinschätzung verzichten würde.
Täterarbeit
Laut einem Falterbericht ( „ Stichhaltige Fakten“), Falterausgabe Nr 4/2019 gibt es alleine in Wien jährlich etwa 3200 Wegweisungen wegen häuslicher Gewalt, aber nur 160 Männer würden von der Männerberatung Wien betreut.
Männer, die weggewiesen worden sind, haben sich selbst eine ( neue) Wohnung/ Schlafmöglichkeit zu suchen. Die Situation des Betretungsverbots wird von den weggewiesenen Männern sehr demütigend und belastend empfunden. Existenzängste rund um eine Scheidung/ Trennung werden verstärkt. Viele Männer fühlen sich von der Familie entsorgt und sinnen nach Rache. Diese Männer gilt es zu begleiten. Das Gewaltschutzpaket sieht nun eine gewisse verpflichtende Beratung der Täter vor, diese sollen jedoch die Kosten dafür tragen. Experten befürchten, dass sich hierdurch die betroffenen Männer noch mehr ins Eck gedrängt fühlen könnten.
Zudem ist unklar in wie weit punktuelle Beratungsgespräche geeignet sind eine tatsächliche Verhaltens- und Einstellungsänderung herbeizuführen. Hier fordern viele Fachleute mehr finanzielle Ressourcen und Weisungen zu Therapien und Anti- Gewalt- Trainings für Personen mit erhöhtem Gefährdungspotenzial durch die Straf- und Familiengerichte.
Härtere Strafen
Das Gewaltschutzpaket bringt nun höhere Strafen mit sich. Für bestimmte Delikte werden junge Erwachsene zwischen 18 und 21 Jahren mit Erwachsenen gleichgestellt.
Viele Fachleute zweifeln an, dass das höhere Strafmaß wirklich zur Abhaltung von Straftaten geeignet ist und befürchten, dass vielmehr die Gefahr besteht, dass weniger Straftaten zur Anzeige gelangen. Dies insbesondere wenn es sich um eine Tat in einem Nahe und/ oder Abhängigkeitsverhältnis handelt.
Rechtskräftig verurteilte Straftäter
Rechtskräftig verurteilte Straftäter erhalten ein lebenslanges Tätigkeitsverbot- und zwar für alle Berufe, in denen Täter mit Minderjährigen zu tun haben könnten.
Namensänderung und neue Sozialversicherungsnummer
Gewaltopfer, die ihren Namen ändern wollen, sind künftig von Gebühren befreit und können im Bedarfsfall auch eine neue Sozialversicherungsnummer beantragen.
Probleme rund um ein Betretungsverbot/ Wegweisung / Gewalt in der Familie aus der Praxis:
1. Kontaktrecht zu Kindern
In der Praxis ist es oft so, dass Frauen, die mit einem gewalttätigen Partner ein Kind haben, nach der Wegweisung damit konfrontiert sind, dass dem Mann ein ( zumindest begleitetes) Kontaktrecht zu dem gemeinsamen Kind einzuräumen ist. Es sollte gesetzlich verbindlich verankert werden, dass bei Gewalt in der Familie für die Ausübung eines Kontaktrechts die erfolgreiche Absolvierung eines Antiaggressionstraining Grundvoraussetzung ist. Dies auch dann, wenn das Kind nicht unmittelbar von der Gewalt betroffen war.
2. Vorzeitige Aufhebung des Betretungsverbots
Es kommt immer wieder vor, dass eine Frau trotz aufrechtem Betretungsverbots, Kontakt mit dem gewalttätigen Mann aufnimmt. Das führt zu einer vorzeitigen Beendigung des Betretungsverbots. Die Beendigung kann mitunter aber auch furchtbare, ja tödliche, Folgen mit sich ziehen. Jedenfalls hat eine vorzeitige Aufhebung Auswirkung auf die Glaubwürdigkeit der Frau in einem allfälligen späteren Gerichtsverfahren.
3. Frauen verraten unbewusst in welchem Frauenhaus sie sich befinden
Derzeit gibt es in Wien vier Frauenschutzhäuser. Ein fünftes Haus ist derzeit in Planung und soll bis 2022 fertig gestellt werden. Nimmt eine Frau in einem Frauenhaus Zuflucht, so weiß der Mann nicht in welchem sie untergebracht wird. Immer wieder passiert es, dass die Frauen selbst unbewusst ihrem Partner verraten wo sie sich genau aufhalten. Dies indem sie dem Mann Fotos von den Kindern schicken. Mittels diversen Ortungsprogrammen ist dann schnell der Aufenthaltsort ausfindig gemacht.
Künftig sollen von Gewalt bedrohte Frauen auch in ein Frauenhaus eines anderen Bundeslands untergebracht werden können.
4. Nach der Enthaftung steht plötzlich Opfer dem gewalttätigen Partner gegenüber
Das Opfer hat zwar das gesetzliche Recht ( § 70 StPO) vom ersten unbewachten Verlassen der Anstalt oder der bevorstehenden Enthaftung des Täters informiert zu werden. Es dürfte aber in der Praxis immer wieder zu Lücken in der Informationsweitergabe kommen. Das Opfer sieht sich dann -zu seinem großen Schrecken -unvorbereitet mit dem Täter in Freiheit konfrontiert. Es von der Behörde streng darauf zu achten, dass derartiges nicht passiert.
Wichtig zu wissen:
Opferschutzprogramme für Hochrisikoopfer
In Österreich gibt es für Hochrisikoopfer ( „victims at highest risk“) ein Opferschutzprogramm. Hierbei muss allerdings das Opfer bereit sein, den Kontakt zur Familie abzubrechen, eine neue Identität ( anderer Name, Ortswechsel) anzunehmen.
Aber auch außerhalb eines Opferschutzprogramms gibt es die Möglichkeit eine Auskunftsperre ( geregelt ist dies in § 18 Meldegesetz) zu veranlassen, die Adresse scheint nicht im Melderegister auf. Dies wenn man in etwa in der Vergangenheit Stalking ausgesetzt war. Eine Auskunftsperre kann grundsätzlich jeder beantragen. Es ist ein schutzwürdiges Interesse glaubhaft zu machen. Wichtig ist dann aber auch, dem Expartner keine persönlichen Informationen zukommen zu lassen, diesen auf den sozialen Kanälen zu blockieren.
Finanzielle Mittel:
Laut Istanbul – Konvention, zu der sich Österreich verpflichtet hat, muss für die Hilfe und Unterstützung von Kindern, die Zeugen von Gewalt wurden, gesorgt werden. Mindestens 5.347 Kinder und minderjährige Kinder wurden allein in Wien im Jahr 2018 Zeugen von Gewalt. Die Opferschutzeinrichtungen beklagen mangels Ressourcen dieser Verpflichtung nicht ausreichend nachkommen zu können.
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